Richtlinie Hämotherapie: Was ändert sich mit der Gesamtnovelle 2023?
Die „Richtlinie zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen und zur Anwendung von Blutprodukten“ (Richtlinie Hämotherapie) wurde von der Bundesärztekammer in Zusammenarbeit mit dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) novelliert. Die Veröffentlichung der Gesamtnovelle 2023 im Deutschen Ärzteblatt erfolgte im September 2023. Die vorherige Gesamtnovelle stammte aus dem Jahre 2017 und wurde in den Jahren 2019 und 2021 geringfügig angepasst.
DR. MED. LUKAS WAGNER | FRITHJOF HERRLINGER
Das Wichtigste vorab: Für die Probenlogistik in Ihren Praxen ergeben sich aus der Gesamtnovelle 2023 keine wesentlichen Veränderungen! Dennoch haben sich insbesondere im Hinblick auf die Blutspende relevante Änderungen ergeben, die auch außerhalb medizinischer Fachkreise diskutiert wurden und daher z. B. bei der Aufklärung vor der Gabe von Blutprodukten zur Sprache kommen können.
Im Vordergrund der Überarbeitung der Gesamtnovelle 2023 standen die Umsetzung der im Mai 2023 erfolgten Änderungen im Transfusionsgesetz (TFG) sowie der neuen Vorgaben des PEI zu Blutprodukten bzw. -zubereitungen. Wie bereits zuvor, ist das Ziel der dem Erkenntnisstand der medizinischen Wissenschaft und Technik verpflichteten Aktualisierung, den Gesundheitsschutz der Spendenden sowie die Herstellung von möglichst risikoarmen Blutprodukten zu gewährleisten.
Die nicht nur gesellschaftspolitisch größten Anpassungen erfolgten in der Risikobewertung der Spendewilligen aufgrund ihres individuellen Sexualverhaltens: Mit der neuen Richtlinie werden diskriminierungsminderende Kriterien zur Beurteilung des Risikos für die Übertragung von Krankheitserregern angewandt. Die sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentitäten der Spendewilligen und ihrer Sexualpartnerinnen und/oder -partner werden nun nicht mehr berücksichtigt.
Mit der neuen Richtlinie wird ausschließlich das in den letzten vier Monaten praktizierte Sexualverhalten hinsichtlich eines „deutlichen erhöhte[n] Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten“ bewertet. Ein entsprechendes Übertragungsrisiko wird angenommen bei „Sexualverkehr mit insgesamt mehr als zwei Personen“, bei Analverkehr mit einer neuen Person oder bei Sexualverkehr, der Analverkehr und mehr als eine Person einschließt. Analog werden weiterhin Sexarbeit bzw. deren Inanspruchnahme sowie „Sexualverkehr mit einer Person, die mit Hepatitis B, Hepatitis C oder HIV infiziert ist [oder] die in einem Endemiegebiet bzw. Hochprävalenzland für diese Viren lebt beziehungsweise von dort eingereist ist“, bewertet. Die Spendewilligen werden in diesen Fällen für einen Zeitraum von vier Monaten nach dem entsprechenden Ereignis von der Spende zurückgestellt.
Nach wie vor wird jede einzelne Spende serologisch auf eine Infektion mit HIV, Hepatitis B und C sowie Treponema pallidum (Lues) untersucht. Zur Verkürzung des diagnostischen Fensters erfolgt wie bisher eine molekularbiologische Untersuchung mittels PCR auf HIV und HCV. Die zwischenzeitlich vom PEI angeordnete und bereits umgesetzte genomische Testung auf Hepatitis E (HEV) sowie West-Nil-Virus (WNV) hat ebenfalls Eingang in die neue Gesamtnovelle 2023 gefunden.
Der Vollständigkeit halber sei kursorisch auf die weiteren Anpassungen in der neuen Richtlinie verwiesen: Die Herstellung von Hyperimmunplasma, aus dem z. B. die Rhesusprophylaxe hergestellt werden kann (siehe Labor 28-Magazin #65: Gezielte Rhesusprophylaxe – Was ändert sich?), war zuvor in einer eigenständigen Richtlinie geregelt und ist nun zur Vermeidung unnötiger Dopplungen Bestandteil der Richtlinie Hämotherapie. Zudem wird der Einsatz von telemedizinischen Verfahren zur Einschätzung der Spendetauglichkeit geregelt, die aufgrund entsprechender Änderungen im Transfusionsgesetz (TFG) zulässig wurden. Eine obere Altersgrenze ist komplett entfallen: Zukünftig ist für volljährige Erst- und Wiederholungspendende nur die individuelle ärztliche Einschätzung bzgl. der Spendefähigkeit maßgeblich.
Auch laut der Gesamtnovelle 2023 müssen die Röhrchen für immunhämatologische Untersuchungen (Blutgruppe, Antikörpersuchtest, Coombstest) mit Namen, Vornamen und Geburtsdatum beschriftet werden, und es ist eine nur für diesen Zweck bestimmte Probe erforderlich. Die geforderte Aufbewahrung der Proben im Labor bleibt mit mindenstens zehn Tagen nach Abschluss der Untersuchungen ebenfalls unverändert.
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Literatur
- Richtlinie zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen und zur Anwendung von Blutprodukten (Richtlinie Hämotherapie). Aufgestellt gemäß §§ 12 a und 18 Transfusionsgesetz von der Bundesärztekammer im Einvernehmen mit dem Paul-Ehrlich-Institut. Gesamtnovelle 2023. Deutscher Ärzteverlag, Köln.
- Richter-Kuhlmann E: Hämotherapie und Blutspende – Geänderte Auswahlkriterien. Deutsches Ärzteblatt 2023; 120: A1416/1418.