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Fallvorstellung: Meningeosis carcinomatosa bei einer 76-jährigen Patientin

Im Januar dieses Jahres erreichte uns ein Auftrag aus einer neurologischen Fachklinik bezüglich einer 76-jährigen Patientin mit einer seit November 2023 progredienten Radikulitis. Aktuell zeigte sich nun zusätzlich eine Paraplegie.

DR. MED. JUSTIN ROTHSCHUH



Vor mehr als zehn Jahren war bei der Patientin ein Aneurysma-Clipping erfolgt. In der bei Aufnahme durchgeführten Bildgebung zeigten sich jedoch keine Hinweise auf eine intrakranielle Blutung. Eine bereits vor Ort im Krankenhaus erfolgte Untersuchung des Liquors erbrachte ein stark erhöhtes Laktat von 7,4 mmol/l (RW < 2,1), einen hohen Eiweißgehalt von 418 mg/dl (RW ≤ 50 mg/dl) sowie eine deutlich auffällige Zellzahl von 418 Zellen/µl (RW < 4).

Die beiden stark erhöhten Werte für Liquor-Eiweiß und -Laktat wären in dieser Höhe indikativ für eine bakterielle Meningitis. Die nur mäßig erhöhte Zellzahl und die seit längerem bestehende progrediente Symptomatik machten diese Verdachtsdiagnose jedoch wenig wahrscheinlich. Das erhöhte Eiweiß i. L. bestätigte sich in der im Labor 28 durchgeführten Messung. Im Reiber-Diagramm zeigte sich eine ausgeprägte Schrankenstörung ohne intrathekale Synthese von Immunglobulinen (s. Abb. 1).

Abbildung 1. Reiber-Diagramm: Starke Schrankenstörung ohne intrathekale IgG-Synthese


Ferner erfolgte eine mikroskopische Differenzierung der Zellen im Liquor. Hier zeigten sich > 90 % lymphozytäre Zellen (s. Abb. 2) neben einigen Monozyten. Im Rahmen einer bakteriellen Meningitis wären hier vornehmlich segmentkernige Granulozyten zu erwarten gewesen. Wegweisend für die letztendlich gestellte Diagnose einer Meningeosis carcinomatosa (MC) waren weniger als ein Prozent der im Liquor gefundenen Zellen.

Abbildung 2. Lymphozyten mit einer aktivierten Form (*)


Zytomorphologische Malignitätskriterien, die sich in der vorliegenden Patientenprobe zeigten, sind exemplarisch in Abbildung 3 dargestellt:

Abbildung 3. Zellen mit morphologischen Malignitätskriterien neben unauffälligen Lymphozyten (Pfeile)

A: Ausbildung von (kleinen) Zellverbänden und sichtbare Nucleoli („Kernkörperchen“)

B: abnorme Größe der Zellen mit in Relation zum Zytoplasma großen Zellkernen und Plasmaausstülpungen

C: sehr homogene Chromatinstruktur (Lymphozyten zeigen ein strukturell gröberes Kernchromatin)


Kein Kriterium für sich allein kann eine Zelle eindeutig als maligne bzw. neoplastisch definieren. Erst eine Kombination mehrerer (nicht aller) Kriterien kann den Verdacht auf eine MC lenken. Im vorliegenden Fall lag eine hohe Gesamtzellzahl mit vornehmlich Lymphozyten vor. Ursächlich dafür ist wahrscheinlich eine entzündlichen Begleitreaktion der Leptomeningen im Rahmen der MC. Jedoch schließt eine normwertige Zellzahl eine MC nicht aus. Bereits eine einzelne Zelle kann wegweisend für die Verdachtsdiagnose einer MC sein, weswegen im Labor 28 jeder Liquor eine zytologische Beurteilung erhält.

Um die Verdachtsdiagnose einer MC zu sichern sind weitere Untersuchungen (Bildgebung, Durchflusszytometrie, Spezialfärbungen durch die Pathologie, etc.) nötig. Bei der hier vorgestellten Patientin konnte im weiteren Verlauf des stationären Aufenthalts ein Lungenkarzinom als Ursache der MC identifiziert werden.

Neben Karzinomen der Lunge ist eine MC als Resultat einer hämatogenen Fernmetastasierung auch des Öfteren beim Mamma-Karzinom und beim malignen Melanom (dann auch als Meningeosis melanomatosa bezeichnet) zu finden.

Ätiologisch (und auch semantisch) ist die MC von der Meningeosis lymphomatosa bei lymphatischen Neoplasien (v. a. Burkitt-Lymphom) und der Meningeosis leucaemica bei Leukämien (v. a. ALL) abzugrenzen. Der generelle Nachweis von Tumorzellen im Liquor wird als Meningeosis neoplastica bezeichnet.

Für die optimale Qualität der Liquorzytologie und damit für die diagnostische Sensitivität eines möglichen Tumorzellnachweisen im Liquor sollte möglichst umgehend (spätestens innerhalb von ein bis zwei Stunden nach Punktion; Lagerung bei Raumtemperatur ohne Zusätze) ein Zytofugen-Präparat für die mikroskopische Beurteilung angefertigt oder ein schneller Transport in das Labor gebahnt werden.

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Literatur

  1. Fuchs R et al: Hämatologie, 33. Auflage, Stolberg, Nora-Verlag GmbH, 2023, S. 528.
  2. Kluge H et al: Atlas der praktischen Liquorzytologie, 1. Auflage, Stuttgart, Georg Thieme Verlag KG, 2005, S. 59 ff.

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