Skip to main content

Hämatologische Fallvorstellung: Der akute Notfall im Labor

Eine 17-jährige Patientin stellte sich bei ihrer Hausärztin wegen allgemeiner Schwäche und Fieber vor. Außerdem klagte sie über Kopfschmerzen, die seit etwa einem Monat intermittierend auftraten. Klinisch war die Patientin sehr blass und geschwächt, zudem bestanden eine Hypotonie und Tachykardie.

DR. MED. ADRIANNA JAGIELLO

Es wurde daraufhin ein Blutbild veranlasst (Abb. 1). Darin zeigte sich eine massive Anämie und Thrombozytopenie, außerdem eine mäßige Leukozytose. Ein derartiger Befund bedarf einer weiteren Abklärung mittels eines manuellen Differenzialblutbildes, dass bei uns im Labor im Falle einer Notwendigkeit automatisch erweitert wird.

 

Abbildung 1. Kleines Blutbild

 

Im Ausstrich fanden sich, neben den physiologisch vorkommenden reifen Zellen, wie z. B. hier in den Bildern zu sehenden Erythrozyten (Abb. 2), überwiegend (ca. 80 %) kleine unreife Zellen mit feingranulärem und homogenem Kernchromatin, die als Blasten bezeichnet werden. Im Gegensatz zum Blasten weisen nämlich reife Zellen einen Kern mit verklumptem Chromatin auf.

 

Abbildung 2. Manuelles Differenzialblutbild (Blasten im Ausstrich)

Blasten sind hämatopoetische Vorläuferzellen (Erythro-, Myeolo-, Lympho-, Mono-, Megakaryoblast), die normalerweise im Knochenmark zu finden sind. Eine Ausschwemmung der unreifen Zellen in das periphere Blut kommt physiologisch nur bei Neugeborenen (extramedulläre Blutbildung) vor, beim Erwachsenen weist diese Veränderung auf eine schwerwiegende Erkrankung hin. Grundsätzlich muss zwischen einer reaktiven (z. B. bei Sepsis, G-CSF, Virusinfektion, Knochenmarkkarzinose, Regeneration nach Chemotherapie) und einer leukämischen Blastenausschwemmung (Akute Leukämie, CML, MDS, CMML, aggressive Lymphome) unterschieden werden. Bei reaktivem Geschehen beträgt die Blastenzahl meistens < 5 %, und es zeigt sich außerdem eine kontinuierliche Linksverschiebung bis zum Myeloblasten. Zusätzlich findet man andere morphologische Zeichen einer Reaktivität (toxische Granulation und Vakuolisierung der Neutrophilen).

Eine Unterscheidung zwischen einem Lympho- und Myeloblasten ist morphologisch schwierig bzw. nur möglich, wenn im Blasten Auer-Stäbchen (kristalloide azurophile, nadelartige Granulationen) nachgewiesen werden. Auerstäbchen beweisen, dass der Blast ein Myeloblast ist. In allen anderen Fällen erfolgt eine Unterscheidung mittels Immunphänotypisierung.

Eine Blastenzahl ≥ 20 % führte bei dieser Patientin zur Diagnose einer akuten Leukämie. Dabei handelt es sich um einen medizinischen Notfall, d. h. die Patientin muss sofort stationär in eine entsprechende hämatologische Abteilung zur weiteren Diagnostik und sofortigen Einleitung einer Therapie.

Bei jeder neu diagnostizierten akuten Leukämie telefonieren wir mit unseren Einsender:innen, um den Befund zu besprechen und eine Kontaktaufnahme mit einer hämatologischen Abteilung eines Krankenhauses zu empfehlen. Um eine Verzögerung der stationären Aufnahme zu vermeiden, sollte man vorab telefonisch mit dem Hintergrunddienst des gewünschten Krankenhauses in Kontakt treten. Jede hämatologische Abteilung bietet hierfür eine telefonische Hotline für akute Notfälle an. Hier können Patient:innen vorgestellt und für die stationäre Aufnahme angemeldet werden, sodass diese ohne Umwege (NICHT über die Notaufnahme!) direkt auf der Station aufgenommen werden können.

Literatur:

  1. Der Blast – Ein diagnostisches Schwergewicht, Xtra Vol.17.2/2013/Nr. 01, Sysmex
  2. Roland Fuchs, Manual Hämatologie 2022, Nora-Verlag