Essener Resolution‘: Freiheit und Verantwortung der ärztlichen Profession
Anlässlich des 127. Deutschen Ärztetages in Essen wurde am 17. Mai 2023 die Essener Resolution „Freiheit und Verantwortung der ärztlichen Profession“ von der Delegiertenversammlung einstimmig beschlossen. Diese Resolution befasst sich mit dem Verständnis des ärztlichen Berufes als Profession und den Herausforderungen, mit denen die ärztliche Profession konfrontiert ist.
DR. MED. MICHAEL MÜLLER
In der Resolution heißt es zu Beginn: „Der ärztliche Beruf ist [...] seiner Natur nach ein freier Beruf (§ 1 Abs. 2 BOÄ und § 1 Abs. 1 S. 2 und 3 MBO-Ä). Ärztinnen und Ärzte üben unabhängig von Stellung und Ort der ärztlichen Tätigkeit einen freien Beruf aus. Diese Freiberuflichkeit ergibt sich aus dem Selbstverständnis der ärztlichen Profession. Grundlegend dafür sind das ärztliche Berufsethos, die Gemeinwohlorientierung der ärztlichen Tätigkeit und die spezifisch ärztliche Fachkompetenz, aus denen sich die Therapiefreiheit und Weisungsunabhängigkeit bei ärztlichen Entscheidungen ableiten. Ärztinnen und Ärzte richten ihr ärztliches Handeln am Wohl der Patientinnen und Patienten aus, unabhängig von kommerziellen Erwartungshaltungen Dritter.“ Sie schließt mit der Forderung: „Die Ärzteschaft fordert eine systematische und strukturelle Einbindung bei allen gesundheitspolitischen Prozessen, Reformvorhaben und Gesetzesverfahren. Diese Einbindung ist eine grundlegende Voraussetzung für eine medizinisch-wissenschaftlich fundierte, qualitativ hochwertige, auf ethischen Normen und Werten beruhende, verantwortliche und patientenzentrierte Neuausrichtung der Gesundheitsversorgung für die Menschen in unserem Land.“
Vorausgegangen war der nahezu einstimmigen Beschlussfassung der Delegierten eine ausführliche Debatte zu den aktuellen Rahmenbedingungen der ärztlichen Tätigkeit, zu den negativen Einflüssen durch eine „bevormundende Gesundheitspolitik“ und dem sich entwickelnden zunehmenden Kostendruck mit Kommerzialisierungsauswüchsen.
Ein großer Teil dieser Entwicklungen ist bedingt durch unzureichende Rahmenbedingungen. Die Debatte wurde dabei eingeleitet mit Beiträgen aus dem Präsidium der Bundesärztekammer sowie einem viel beachteten Grundsatzreferat von Peter Müller, dem früheren Ministerpräsidenten des Saarlandes und heutigem Richter des Zweiten Senats am Bundesverfassungsgericht. Er widmete sich der besonderen Bedeutung freiheitlicher ärztlicher Berufsausübung und der ärztlichen Selbstverwaltung. Beide sind nach seinem Verständnis gleichsam „siamesische Zwillinge“.
Er leitete die Besonderheiten des freien Berufs der Ärztin und des Arztes aus dem Artikel 12 des Grundgesetzes (Freiheit der Berufsausübung) ab und betonte, dass diese Besonderheiten unter anderem in der besonderen Qualifikation des Arztberufes sowie in dem sich aus der Asymmetrie des Wissens zwischen Arzt und Patient ergebenden besonderen Beziehung des Arzt-Patienten-Verhältnisses besteht. Die gleichermaßen am individuellen bestmöglichen Patientenwohl und zudem auch durch die Sicherung des Funktionierens unseres Gesundheitswesens dokumentierte Ausrichtung am Gemeinwohl drücke das Besondere der ärztlichen Tätigkeit aus. Der Beruf des Arztes sei zudem durch das Merkmal der sich daraus ergebenden Weisungsfreiheit und der mit der Freiheit der Berufsausübung verbundenen besonderen Verantwortung verbunden. Denn es könne bei bestehender Freiheit dennoch nicht jeder tun und lassen, was er wolle.
In seinem Vortrag war es Peter Müller zudem wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Freiberuflichkeit eine wertvolle Ressource für ein gut funktionierendes Gesundheitswesen sei. Sie stehe unter dem starken Druck von Bürokratisierung und auch Ökonomisierung und der zunehmenden Beeinflussung durch Regelungen des Staates. Mit seinem Beitrag stellte der Verfassungsrichter den Delegierten einen Rahmen vor, der sich aus dem Grundgesetz ableitet und ein klares Bekenntnis zur Bedeutung von Freiberuflichkeit und Selbstverwaltung darstellt.
Es tat den Delegierten und Gästen gut, sich mit einer „Rückbesinnung“ auf das Besondere des Berufes „Ärztin/Arzt“ zu befassen. Das trägt auch sehr zu Klärung der Frage bei, wer in erster Linie für die Einhaltung der ärztlichen Berufsordnung zuständig ist. Das kann zunächst nur die ärztliche Selbstverwaltung sein und eben nicht der Staat. Damit verbunden ist die Selbstverantwortung der Berufsausübenden selbst für die Einhaltung der mit Freiheit und Verantwortung verbundenen Berufspflichten.