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Fallbericht: Kind mit ausgeprägter Thrombozytopenie

Ein fünfjähriges Mädchen wurde beim Kinderarzt mit Blutungserscheinungen in Form von Petechien an den Beinen sowie mit Schleimhautblutungen im Mund-, Zungen- und Nasenbereich vorgestellt. Die Symptome hatten zwei Tage zuvor begonnen. Eine umfassende intraorale Untersuchung ergab hämorrhagische Läsionen in der Wangenhöhle auf beiden Seiten, an der Zungenspitze und den seitlichen Rändern der Zunge sowie an der Gingiva. Es waren keine Gelenkblutergüsse vorhanden. Abgesehen von diesen Zeichen war der Untersuchungsbefund unauffällig.

DR. MED. ATHANASIOS VERGOPOULOS

Zum Zeitpunkt der Vorstellung war die Thrombozytenzahl mit 2 G/l ohne Immunsuppression stark erniedrigt. Die erste Messung wurde aus EDTA-Blut durchgeführt. Es folgte eine Kontrollmessung in Citrat-Blut, welche die deutliche Thrombozytopenie mit 3 G/l bestätigte. Mikroskopisch gab es keine Hinweise auf Thrombozytenaggregate. Die übrigen Parameter des Blutbildes sowie die klinisch-chemischen Laborparameter waren bis auf eine Mikrohämaturie unauffällig.

Die Diagnose lautete postinfektiöse Immunthrombozytopenie nach einer Rhinovirus-Infektion. Aufgrund der schweren Thrombozytopenie wurde die Patientin zur stationären Behandlung eingewiesen. Eine Behandlung mit Glukokorticoiden war aufgrund des günstigen Krankheitsverlaufs und der anschließenden Spontanremission nicht erforderlich. In den ersten zwei Wochen nach Präsentation bildete sich die Thrombozytopenie spontan zurück. Zwei Wochen später hatte sich die Thrombozytenzahl gemessen in EDTA- und Citrat-Blut auf 180 G/l erholt. Es traten keine Blutungen mehr auf.

Immunthrombozytopenie (ITP) und Abgrenzung von anderen thrombozytopenischen hämorrhagischen Diathesen

Unter der Immunthrombozytopenie versteht man eine erworbene Thrombozytopenie aufgrund einer Autoimmunreaktion gegen Thrombozyten und Megakaryozyten. Dabei liegt die Thrombozytenzahl wiederholt unter 10 G/l. Die ITP ist nicht erblich, sondern eine seltene erworbene Autoimmunerkrankung (Orphan Disease). Die Erkrankung äußert sich in erster Linie durch mukokutane Blutungen, einschließlich Purpura, Ekchymosen, Epistaxis, Menorrhagie und Hämaturie, kann aber auch asymptomatisch sein. Die Autoimmunreaktion, die sich sowohl gegen die Blutplättchen im zirkulierenden Blut als auch die Megakaryozyten im Knochenmark richtet, kann u. a. durch eine Infektion oder Medikamente ausgelöst werden. Dies führt zu einem verstärkten Abbau in Leber und Milz sowie einer verminderten Neubildung von Thrombozyten im Knochenmark.

Thrombozyten sind über ihre Fc-Rezeptoren am Transport von Immunkomplexen beteiligt. Bei dem immunogenen Neoantigen kann es sich um ein kombiniertes Epitop aus infektiösem Fremdmolekül oder Medikament und Thrombozytenprotein handeln, welches nach Abklingen der Infektion oder Absetzen des Medikaments verschwindet, wie im vorliegenden Fall der akuten ITP bei einem Kind nach viraler Infektion. Besteht das vom Antikörper erkannte Epitop jedoch aus einer reinen Thrombozytenstruktur, kann es zu einer chronischen Immunthrombozytopenie kommen.
Ätiologisch kann die ITP entweder primär oder sekundär bedingt sein. Die primäre ITP ist eine Ausschlussdiagnose. Die Erhebung der Eigen- und Familienanamnese dient zunächst dazu, zwischen angeborenen und erworbenen Formen der Thrombozytopenie zu unterscheiden. Vor allem bei Kindern finden sich häufig vorausgehende Atemwegs- oder Magen-Darm-Infektionen. Ein vorübergehender, aber schwerer Verlauf wurde auch bei Kindern nach Impfungen, insbesondere MMR, beobachtet.

Die Medikamenteneinnahme ist eine der häufigsten Ursachen einer sekundären ITP. In diesem Zusammenhang ist die Heparin-induzierte Thrombozytopenie Typ II zu erwähnen, die jedoch ein eigenes Krankheitsbild mit dem Risiko thromboembolischer Komplikationen darstellt. Zur initialen Diagnostik der Immunthrombozytopenie gehört ein großes Blutbild mit einem manuell differenzierten Ausstrich. Sie sollte von einer EDTA-induzierten Pseudothrombozytopenie abgegrenzt werden. Bei dieser werden im entsprechenden Blutausstrich Thrombozytenagglutinate nachgewiesen. In etwa 10 % der Fälle sind Aggregate auch in Citrat-Blut nachweisbar. In solchen Fällen sollte zur Ermittlung der tatsächlichen Thrombozytenzahl eine Bestimmung in Magnesiumsulfat-antikoaguliertem Blut (ThromboExact®-Monovette) herangezogen werden.

Zur Basisdiagnostik gehören auch die Messung der Elektrolyte sowie die Leber- und Nierenwerte. Die plasmatische Gerinnung (Suchtests: partielle Thromboplastinzeit [PTT], Quick-Wert) ist bei einer Thrombozytopenie nicht verändert. Die Blutungszeit dagegen ist in der Regel verlängert.
Besteht der Verdacht auf eine Hämaturie, sollte ein Urinstatus durchgeführt werden. Eine Autoimmundiagnostik (ANA, Anti-ds-DNA, ANCA, Antiphospholipid-Antikörper, Lupus-Antikoagulans, CCP-Antikörper, TSH und Schilddrüsen-Antikörper) kann zum Ausschluss einer sekundären ITP im Zusammenhang mit anderen Autoimmunerkrankungen durchgeführt werden.

Zur Unterscheidung zwischen primären und sekundären Formen der ITP besteht die weiterführende Labordiagnostik aus der quantitativen Immunglobulinbestimmung und ggf. einer infektiosserologischen bzw. bakteriologischen Diagnostik (HBV, HCV, HIV, CMV, EBV, Parvovirus B19, Hantaviren, Helicobacter pylori). Die Bestimmung freier oder gebundener Thrombozyten-Alloantikörper wird nicht generell, sondern nur bei chronischem Verlauf und unklarem klinischen Bild empfohlen. Thrombozytopenien anderer Genese (Bildungs- oder Reifungsstörungen der Thrombozyten, Hypersplenismus, thrombotische Mikroangiopathie im Rahmen eines hämolytisch-urämischen Syndroms oder thrombotisch-thrombozytopenische Purpura) gehören ggf. zur weiteren Differentialdiagnostik.

Die akute ITP hat, insbesondere im Kindesalter, einen selbstlimitierenden Krankheitsverlauf und bedarf in der Regel keiner Therapie. In ca. 80 % der Fälle tritt nach einigen Wochen oder Monaten eine Spontanremission ein. Bei nicht anhaltender Remission (persistierende oder chronische ITP) stellt die Verabreichung von Glukokortikoiden bzw. im Einzelfall – bei erhöhtem Blutungsrisiko – von i. v. Immunglobulinen die erste Therapielinie dar. Bei lebensbedrohlichen Blutungen sollten zusätzlich Thrombozytenkonzentrate gegeben werden. Bei ausbleibendem Ansprechen oder bei Rezidiven können Thrombopoietin-Rezeptor-Agonisten oder der SYK-Inhibitor Fostamatinib eingesetzt werden. Erst in der Drittlinientherapie werden Immunsuppressiva und ggf. Splenektomie in Erwägung gezogen.


Literatur

  1. Matzdorff et al. Onkopedia-Leitlinie: Immunthrombozytopenie (ITP). Stand März 2021
  2. AWMF-S2k-Leitlinie 086/001: Neu diagnostizierte Immunthrombozytopenie im Kindes- und Jugendalter. Stand Oktober 2018
  3. Matzdorff A. Update Immunthrombozytopenie – etablierte Standards und neue Empfehlungen. CME-Artikel 30.11.2022. www.springermedizin.de