Präoperative Gerinnungsdiagnostik
In der hausärztlichen Praxis wird tagtäglich präoperative Gerinnungslabordiagnostik durchgeführt, um PatientInnen mit einem erhöhten Blutungsrisiko zu identifizieren.
DR. MED. ADRIANNA JAGIELLO
Standardmäßig werden dabei ein Blutbild und die sogenannten ‚Globalparameter‘ aPTT (= aktivierte partielle Thromboplastinzeit) und Quick (partielle Thrombinzeit) angefordert. Die Bezeichnung ‚Globalparameter‘ suggeriert, dass sowohl die gesamte primäre als auch die sekundäre Hämostase erfasst werden. Dabei muss erwähnt werden, dass die Teste ursprünglich für andere Fragestellungen konzipiert worden sind, als die Frage nach einem erhöhten Blutungsrisiko, sei es angeborener oder erworbener Ursache.
Der sogenannte Quick-Test wurde für die Überwachung einer Vitamin-K-Antagonisten-Therapie entwickelt, aPTT wiederum für die Überwachung einer Heparintherapie. Hierfür eignen sich diese Teste auch hervorragend. Die Frage nach einem erhöhten Blutungsrisiko aufgrund von angeborenen oder erworbenen Ursachen beantworten sie jedoch ungenügend, da die Sensitivität zur Detektion relevanter Gerinnungsstörungen lediglich mit 1–2 % angegeben wird. Woran liegt das?
Abbildung 1: Schema der Messung von Quick und aPTT im Labor (TF = tissue factor)
Die häufigsten Ursachen, die zu einer erhöhten Blutungsneigung führen, sind erworbene und angeborene Thrombozytenfunktionsstörungen und das von Willebrand-Syndrom. Ein Blutbild, sowie aPTT und Quick-Test erfassen eine Thrombozytopathie bzw. ein von Willebrand-Syndrom jedoch nicht zuverlässig. Sie ‚übersehen‘ diese Erkrankungen, da sie für deren Detektierung nicht konzipiert worden sind. Die aPPT erfasst die Faktoren VIII, IX, XI, XII, Präkallikrein, High Molecular Weight Kininogen, sowie die gemeinsame Endstrecke der plasmatischen Gerinnung (X, V, II und Fibrinogen). Der Quick-Test erfasst neben der gemeinsamen Endstrecke noch Faktor II, VII, IX und X. Beide Teste erfassen somit die sekundäre Hämostase, die primäre Hämostase wird nicht getestet.
Jetzt stellt sich die Frage, mit welchen Testen man am besten eine Thrombozytenfunktionsstörung oder ein von Willebrand-Syndrom ausschließen bzw. nachweisen kann. Es handelt sich hier um Spezialteste der Gerinnungsdiagnostik (PFA-100, Lichttransmissionsaggregometrie nach Born usw.), die einer besonderen Expertise bedürfen und nicht in jedem Labor rund um die Uhr zur Verfügung stehen.
Diese Tatsache führt häufig zu logistischen Problemen und kann die Gerinnungsdiagnostik verzögern. Auch die höheren Kosten sind hier nicht zu vernachlässigen. Ein weiteres Problem birgt die Notwendigkeit der Wiederholung bzw. Erweiterung der Diagnostik bei auffälligen Werten, die überwiegend prä-analytisch verursacht werden, d. h. der/die PatientIn ist gesund, der Test ist trotzdem auffällig. Dies führt zu Kontrolluntersuchungen, die weitere Kosten generieren und die operative Versorgung des/der PatientenIn verzögern können.
Wie kann man die präoperative Gerinnungsdiagnostik optimieren? Die Lösung ist eine rationelle Diagnostik, d. h. nur die PatientenInnen mit einem klinischen V. a. eine verstärkte Blutungsneigung werden einer speziellen Gerinnungsdiagnostik zugeführt. Mit Hilfe eines standardisierten Blutungsanamnesebogen (z. B. dem Fragebogen der Charité: www.anamnesebogen_erwachsenen_150408.pdf) können entsprechende PatientenInnen identifiziert werden. Der Anamnesebogen sollte hier mit Hilfe der ÄrztInnen ausgefüllt werden.
Mehrere Studien zur präoperativen Risikoabklärung belegen den Nutzen dieser Vorgehensweise. So können unnötige Untersuchungen und Kosten (da nur ca. 10 % der Befragten eine auffällige Blutungsanamnese haben) minimiert und die klinisch auffälligen PatientInnen anschließend spezifischer untersucht werden. Es empfiehlt sich eine rechtzeitige Vorstellung der vorselektierten PatientInnen in einem für Gerinnung spezialisierten Zentrum.
Literatur
1. Metze M et al. Gerinnungsdiagnostik im klinischen Alltag – Teil 1, Internist 2022; 63:619–630
2. Elbaz C, Sholzberg M. An illustrated review of bleeding assessment tools and common coagulation test.
3. Res Pract Thromb Haemost 2020; 4:761–773
4. Barthels M. Das Gerinnungskompendium. 2. Auflage 2013, Thieme Verlag