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Mutterschafts-Richtlinien: Gezielte Rhesusprophylaxe – Was ändert sich?


Die gezielte, präpartale Rhesusprophylaxe nach fetaler RHD-Typisierung mittels nicht-invasivem Pränataltest (NIPT) ist seit dem 24.11.2020 Gegenstand der Mutterschafts-Richtlinien (Mu-RL).1 Was ändert sich für RhD-negative Schwangere und die betreuenden KollegInnen?

DR. MED. LUKAS WAGNER

Bisher erhielten alle RhD-negativen Schwangeren routinemäßig in der SSW 27+0 bis 29+6 eine präpartale Rhesusprophylaxe, die aus Anti-D menschlichen Ursprungs besteht. Das Anti-D fängt hierbei möglicherweise in den mütterlichen Kreislauf gelangte RhD-positive, fetale Erythrozyten ab und verhindert mit hoher Effektivität eine mütterliche Immunisierung. Die postpartale Prophylaxe erfolgt hingegen in Abhängigkeit vom RhD-Status des Feten, der unmittelbar nach der Geburt serologisch bestimmt wird. 2103 Pic 02

Die Rhesusprophylaxe, die eine einzigartige medizinische Erfolgsgeschichte darstellt, wird von menschlichen Spendern gewonnen. Dieses Blutprodukt ist heute ein sehr sicheres Medikament: Durch z. B. Quarantänelagerung und virusinaktivierende Behandlungen des Plasmas ist die Übertragung bereits bekannter Pathogene so gut wie ausgeschlossen. Auch sind nicht-infektiöse Nebenwirkungen (wie z. B. allergische Reaktionen) sehr selten – dennoch sollte gemäß des Grundsatzes Primum non nocere die Gabe nicht erforderlicher Medikamente grundsätzlich unterbleiben. Da Anti-D zudem von menschlichen Spendern gewonnen wird, die bisweilen nur zu diesem Zwecke immunisiert werden, ist eine sparsame Verwendung auch aus ethischen Gründen geboten. Zuletzt beschreiben einige Schwangere die lokalen Symptome an der Einstichstelle als schmerzhaft.

Durch die Genotypenverteilung in Deutschland sind ca. 40 % der Kinder, die von einer RhD-negativen Frau hierzulande geboren werden, selbst RhD-negativ. In diesem Falle erfolgt keine postpartale Rhesusprophylaxe, da RhD-negative Erythrozyten keine RhD-Immunisierung induzieren können. Auch die präpartale Rhesusprophylaxe ist bei diesen Schwangeren mit RhD-negativem Kind entbehrlich. Diese Information konnte bislang pränatal jedoch nur mit invasiven Maßnahmen gewonnen werden, die nebst dem hohen infrastrukturellen Aufwand u. a. das Risiko eines Aborts trugen. Zur vorgeburtlichen Erkennung dieser Konstellation besteht nun die Möglichkeit der risikofreien, nicht-invasiven fetalen RHD-Typisierung (siehe auch Labor 28-Zeitschrift # 58, 12/2018).

Untersucht wird die zellfreie, fetale DNA (cffDNA). Diese entsteht z. B. durch Abschilferungen des Trophoblasten. Die cffDNA-Konzentration im mütterlichen Plasma nimmt im Verlaufe der Schwangerschaft zu.

Grundlage der RhD-Negativität ist in Mitteleuropa ganz überwiegend eine gesamte Deletion des Gens, das für das RhD-Merkmal kodiert (RHD-Gen). Lassen sich jetzt im Blut der RhD-negativen Schwangeren (die für diese Deletion homozygot ist) spezifische Sequenzen des RHD-Gens nachweisen, so müssen diese vom Feten stammen und das Kind ist RHD-positiv – somit besteht die Indikation für die präpartale Rhesusprophylaxe in der SSW 27+0 bis 29+6.

Lässt sich nun keine RHD-spezifische DNA nachweisen, kann dies an einem RHD-negativen Kind liegen – oder es lag nicht genügend cffDNA im Plasma vor. Zirka ab der 20. SSW ist davon auszugehen, dass sich genügend cffDNA im mütterlichen Plasma nachweisen lässt, sodass ab diesem Zeitpunkt auch ein RHD-negatives Ergebnis verlässlich ist. Obwohl laut Mu-RL die fetale RHD-Typisierung ab der 12. SSW (11+0) zulässig ist, empfehlen wir die Untersuchung daher erst ab der 20. SSW. Bei Untersuchungen vor der 20. SSW kann bei RHD-negativen Befunden eine Kontrolluntersuchung erforderlich sein. (2)

Aufgrund der geringeren Anzahl der Untersuchungen bei Mehrlingsschwangerschaften besteht aktuell noch eine limitierte Datengrundlage, sodass die Mu-RL die RHD-Typisierung (bislang) nur bei Einlingsschwangerschaften vorsieht.

Die Mu-RL fordert für die Untersuchung eine „Sensitivität von mindestens 99 % sowie eine Spezifität von 98 %“. Diese Testgüte stellt sicher, dass eine zusätzliche mütterliche Immunisierung durch das neue Vorgehen sehr unwahrscheinlich ist (< 1 zusätzliche Immunisierung/10.000 RhD-negative Schwangere). Zahlreiche Studien konnten die Effektivität und Sicherheit der fetalen RHD-Typisierung bestätigen. (3,4)

Vor der Untersuchung, für die der Arztvorbehalt gilt, ist eine genetische Beratung der Schwangeren gemäß der Aufklärungs- und Beratungsverpflichtungen nach den Vorgaben des Gendiagnostikgesetzes (GenDG) vorgeschrieben. Die erforderliche Qualifikation ist die „fachgebundene genetische Beratung“ (72-Stunden-Curriculum bzw. das Äquivalent, die sogenannte „große Wissenskontrolle“). Eine entsprechende Beratung ist selbstverständlich auch durch FachärztInnen für Humangenetik möglich.

Liegt bis SSW 29+6 kein Ergebnis eines RHD-NIPT vor, soll die ungezielte Anti-D-Prophylaxe durchgeführt werden. Die vorgeburtliche RHD-Typisierung entbindet nicht von der serologischen RhD-Typisierung des Kindes nach der Geburt. (1) Durch die zweizeitige Bestimmung des RhD-Merkmals mittels unterschiedlicher Methoden wird eine zusätzliche Sicherheit der Bestimmung geschaffen.

Da bisher der Bewertungsausschuss noch nicht über die Höhe der Vergütung entschieden hat, bietet unser Kooperationslabor die Untersuchung bis zur entsprechenden Entscheidung als IGe-Leistung an (siehe Labor 28-Newsletter 14/2020, Update April 2021,UPDATE Mai 2021). Eine Erstattung kann die gesetzlich Versicherte mit Hinweis auf die aktuell gültige Mu-RL mit ihrem Versicherer individuell besprechen. Mit der Entscheidung im Bewertungsausschuss ist in wenigen Monaten zu rechnen. Wir werden Sie entsprechend informieren und begleitend im 2. Quartal 2021 eine Online-Fortbildung zu diesem Thema anbieten.

 


Literatur

  1. Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die ärztliche Betreuung während der Schwangerschaft und nach der Entbindung („Mutterschafts-Richtlinien“) in der Fassung vom 10. Dezember 1985, zuletzt geändert am 20. August 2020; in Kraft getreten am 24. November 2020
  2. Legler TJ: Anti-D-Prophylaxe bei RhD-negativen Frauen. hämotherapie. Ausgabe 31/2018, Seite 29–37
  3. Blanco S, Giacomi VS, Slobodianiuk LG, Frutos MC, Carrizo LH: Usefulness of Non-Invasive Fetal RHD Genotyping towards Immunoprophylaxis Optimization. Transfus Med Hemoth. 2018 Nov;45(6):423–428
  4. Runkel B, Bein G, Sieben W, Sow D, Polus S.: Targeted antenatal anti-D prophylaxis for RhD-negative pregnant women: a systematic review. BMC Pregnancy Childbirth. 2020 Feb 7;20(1):83